Regionale Bildungszusammenarbeit lohnt sich
INTERVIEW MIT SYBILLE HAUSSMANN, DEZERNENTIN IM Kreis Düren

Seit Februar 2020 ist Sybille Haußmann als Dezernentin für Arbeit, Bildung und Integration im Kreis tätig. Besonders wichtig sind ihr dabei Themen wie Inklusion und Bildung für nachhaltige Entwicklung. Seit November 2020 stehen Sibylle Haußmann und das Netzwerkbüro Bildung Rheinisches Revier im engen Austausch, denn nur gemeinsam kann die Region im Strukturwandel durch Bildung gestaltet werden. Wir haben die Dezernentin gefragt, welchen Mehrwert Sie in der regionalen Zusammenarbeit sieht.
Inwiefern ist der Kreis Düren von dem Strukturwandel durch den Stopp des Braunkohleabbaus bis 2038 betroffen?
Seit Jahrhunderten haben die Menschen im Kreis Düren mit den drei Braunkohlelöchern gelebt. Landschaften haben sich verändert, Dörfer verschwanden, neue Orte sind entstanden. Menschen haben ihre Heimat verloren, anderen war die Arbeit im Tagebau über Generationen Lebensaufgabe und Wohlstand. Das Leben mit dem Loch war Alltag und Normalität. Erst in den letzten zehn Jahren mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien, dem sich formierenden Widerstand gegen den Verbrauch fossiler Brennstoffe und mit der Auseinandersetzung um den Hambacher Wald kam dieses Weltbild ins Wanken. Der Kohleausstieg ist eine Zäsur, die fast alle Bewohner*innen im Kreis Düren in irgendeiner Form betrifft.
Vor welchen gesellschaftlichen Herausforderungen steht der Kreis Düren?
In relativ kurzer Zeit müssen sich die Menschen im Kreis Düren auf eine veränderte Realität einstellen. Das bedeutet Brüche und Konflikte, aber auch neue Chancen. Wirtschaft und Gesellschaft müssen ein neues Selbstbild und neue Einkommensmöglichkeiten schaffen. Der Kreis Düren will bis zum Jahr 2035 klimaneutral werden. Hier kann die Tradition des Kreises als Energielieferant zum Vorteil werden, wenn Wirtschaft, Zivilgesellschaft, Politik und Verwaltung die damit verbundenen Chancen nutzen. Beispielsweise werden bisher nur 2% der Potentiale für Solarenergie im Kreis Düren genutzt. Auch die Umstellung auf eine CO2-neutrale Mobilität, Landwirtschaft und Industrie bietet ungeahntes Innovationspotential.
Was bedeutet das für die Bildungsangebote und -politik im Kreis?
Bildungsangebote im Kreis Düren müssen zweierlei leisten:
Erstens müssen sie zur Versöhnung zwischen den Menschen beitragen, die bewahren möchten, alten Gewissheiten nachtrauern und dem rasanten Wandel der Gesellschaft schwer folgen können und den Menschen, denen die Veränderungen nicht schnell genug gehen. Netzwerkarbeit, Begegnung, Gespräche, Information und Kultur müssen organisiert und finanziert werden, um Menschen mit unterschiedlichsten Werten einander näherzubringen.
Zweitens müssen die Bildungsangebote ganz praktisch auf neue Berufsfelder vorbereiten und Bildung im Wandel leisten. Wer soll die vielen Solaranlagen bauen, wer die Ladeinfrastruktur für Elektromobilität? Wer wartet und repariert? Wer entwickelt CO2-neutrale Energieversorgung für die Industrie, wo kommen die Ingenieure, Anlagenbauer*innen her? Wer kann Heizungsanlagen umrüsten? Wer baut klimaneutrale Häuser? Wer berät und informiert über die Chancen klimaneutralen Wirtschaftens und Lebens?
Aufgabe von Bildungsinstitutionen ist es, genau hier anzusetzen und dazu beizutragen, dass gerade in unserer Region die Fachleute der Zukunft aus- und weitergebildet, zusätzliche Möglichkeiten für Forschung und Innovation geschaffen werden.
Worin besteht der Mehrwert einer regionalen Bildungszusammenarbeit für den Kreis Düren?
All diese Herausforderungen kann der Kreis Düren nicht allein bewältigen. Es braucht eine regionale Zusammenarbeit, um voneinander zu lernen und Bildungsressourcen effektiv einzusetzen.
Das Forschungszentrum Jülich braucht die Anbindung an die Region, damit die Ergebnisse hier nutzbar gemacht werden können. Junge Menschen wollen ein attraktives Kulturangebot, moderne Schulen und Weiterbildungsmöglichkeiten, um sich hier niederzulassen. Da darf der Blick nicht an den Kreisgrenzen enden. Der Kreis Düren investiert in den nächsten Jahren an die 100 Millionen Euro in seine Berufskollegs, damit insbesondere berufliche Bildung attraktiv und inklusiv bleibt. In einem intensiven Beteiligungsprozess wurden Raumkonzepte und Erfordernisse gemeinsam entwickelt. Diese Erfahrungen wollen wir gern teilen.
Was möchten Sie dadurch für die Bürger*innen des Kreis Düren erreichen?
Ich möchte erreichen, dass möglichst viele Menschen die Transformation der Gesellschaft positiv erleben. Klimaneutrales, ressourcenschonendes und nachhaltiges Leben und Wirtschaften ist für die Menschheit eine Überlebensfrage. Gleichzeitig muss es uns gelingen, diesen Prozess möglichst sozial gerecht zu gestalten. Bildung ist hierfür ein wesentlicher Schlüssel, der Menschen gesellschaftliche Teilhabe ermöglicht. Dabei sehe ich Bildung als einen ganzheitlichen Prozess, der Menschen allen Alters, unabhängig von ihren sozialen oder kulturellen Bezügen erreichen soll, mit allen Sinnen und allen Zugängen. Ein überregionales Bildungsnetzwerk hat das Potential, neue Wege zu erproben und voneinander zu lernen. Dazu möchte ich meinen Beitrag leisten.