HomeRheinisches RevierStimmen zur Region"Mehr Möglichkeiten vor Ort sind zentral, um soziale Ungleichheit zu reduzieren."

„Wo Bildung gelingen soll und was wir dafür tun müssen!"

Interview mit Dr. Katarina Weßling

Dr. Katarina Weßling ist Nachwuchsgruppenleiterin „Regionale (Infra-)Struktur und Segmentationsprozesse in der Ausbildung (RISA)“ am Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB)

 

Im Zentrum Ihrer Forschung steht die Frage, inwiefern Merkmale von Regionen die Berufsorientierung und -realisierung von jungen Menschen beeinflussen. Welche Merkmale sind hierbei von starkem Einfluss?

Grundsätzlich muss man zunächst einräumen, dass Merkmale einer Region wie etwa das Ausbildungsplatzangebot, die Industriestärke, Technologieintensität oder ganz allgemein der Grad der Urbanisierung zwar einen Einfluss auf Berufsorientierung und Berufschancen haben, jedoch ist dieser Einfluss klein im Vergleich zu individuellen Merkmalen wie der schulischen Leistung, der schulischen Vorbildung, der sozialen Herkunft (Bildung/Ausbildung der Eltern), dem Migrationshintergrund oder dem Geschlecht. Was wir jedoch immer wieder mittels empirischer Daten zeigen können, dass regionale Bedingungen insbesondere für vulnerablere jungen Menschen, etwa solche mit Migrationshintergrund oder niedriger sozialer Herkunft eine besondere Rolle spielen. Wenn man zum Beispiel nicht über die Ressourcen verfügt, um eine vergleichsweise strukturschwächere Region zu verlassen, spielt es eben eine sehr große Rolle, welche Möglichkeiten man innerhalb der Region hat.

 

Soziale Unterschiede von Jugendlichen beeinflussen die Wahl der Berufsausbildung. Wie könnte man in einem regionalen Kontext die Chancengerechtigkeit für alle Jugendlichen erhöhen?

Wir sehen, dass Regionen, in denen die Bildungs- und Berufsmöglichkeiten besonders umfangreich sind, quasi egalisierend im Sinne soziale Ungleichheiten beim Ausbildungs- und Studienzugang wirken. Mehr Möglichkeiten vor Ort sind also zentral, um soziale Ungleichheit zu reduzieren. Gleichwertige Möglichkeiten in allen Regionen sind natürlich nicht ohne Weiteres herzustellen, daher ist frühzeitiges, umfangreiches (auch Eltern inkludierendes) und damit wirksames Informieren von Jugendlichen – beispielsweise auch über Ausbildungsmöglichkeiten außerhalb der eigenen Region – enorm wichtig. Daneben wären erhöhte Mobilitätsmöglichkeiten für junge Menschen wünschenswert, ein Azubi-Ticket aber auch Studi-Tickets, die das ganze Land oder zumindest Bundesland umfassen.  

 

Digitalisierung und Nachhaltigkeitstransformation rücken die sogenannten MINT-Berufe in den Vordergrund. Was bedeutet das für die Berufsorientierung im Rheinische Revier, das in diesem Bereich viele Arbeitsfelder bereithält?

Wichtig ist, jungen Menschen früh über die Möglichkeiten in der Region zu informieren und auch die Eltern und gegebenenfalls Freunde einzubeziehen und mitzunehmen. Die Angebote müssen auch verständlich sein und spannende Perspektiven bieten. Bei neu entstehenden Berufen besteht oftmals das Problem, dass sie nicht als attraktiv empfunden werden, weil man nicht weiß, was man sich konkret darunter vorstellen kann. Erfolgreich sind oft Interventionen mit sogenannten Rollenvorbildern, die den jungen Leuten konkret und praxisnah aus ihrem Arbeitsalltag berichten. Daneben sind aber auch Gehalt und Aspekte der Work-Life-Balance sehr wichtig – letzteres immer wichtiger für die Berufswünsche von jungen Menschen.

 

Was könnte dazu beitragen, dass mehr junge Frauen einen MINT-Beruf erlernen wollen?

Bekannt ist, dass junge Mädchen deutlich seltener in die MINT-Berufe einmünden. Um dem entgegenzuwirken gibt es bereits eine Vielzahl von Aktivitäten (Girlsday etc.) Wir haben ein laufendes Forschungsprojekt, in dem wir mit Daten des Nationalen Bildungspanels (NEPS) zeigen, dass junge Mädchen in Regionen, die sehr stark im Bereich MINT sind, noch geringere Präferenzen (auch Aspirationen) für MINT-Berufe äußern. D.h., eine Region wie das Rheinische Revier sollte intensiv in Informationsangebote und attraktive Möglichkeiten besonders für junge Frauen investieren – und dies frühzeitig und umfassend. 

Vielen Dank für das Interview.