Krischan Ostenrath, Chefredaktion WILA Arbeitsmarkt / Arbeitsmarkt Erneuerbare Energien und Gesamtleitung "Netzwerk Grüne Arbeitswelt"
© WILA Arbeitsmarkt / Fabian Stürtz
Grüne Berufe und die Fachkräftefrage im Strukturwandel
Ein Interview mit Krischan Ostenrath, Gesamtleitung "Netzwerk Grüne Arbeitswelt"
WAS IST DAS NETZWERK GRÜNE ARBEITSWELT?
Die Fachkräftefrage innerhalb von Transformation und Dekarbonisierung beschäftigt sehr heterogene Akteur*innen und Institutionen mit ihren je eigenen Blickwinkeln: Unternehmen und Verbände sind wesentlich um die Verfügbarkeit von Fachkräften von morgen besorgt. Schulische und außerschulische Bildungseinrichtungen bemühen sich um den Lückenschluss von Bildung für nachhaltige Entwicklung und Berufsorientierung. Wissenschaft und Pilotprojekte generieren neue Erkenntnisse zur Frage, wie eine gute Begleitung bei der Berufswahl in der grünen Arbeitswelt aussehen kann. Gleichzeitig ist keine*r diese*r Akteur*innen stark genug, um die öffentliche Wahrnehmung auf die Fachkräftefrage als potenziellen Flaschenhals der Dekarbonisierung zu lenken.
Gerade weil die grünen Berufsfelder nicht schon seit Jahrzehnten bekannt sind, braucht es das Netzwerk Grüne Arbeitswelt für den fachlichen und praktischen Austausch und den Schritt über die öffentliche Aufmerksamkeitsschwelle. Konkret gelingt dies – seit einer Förderung durch die Nationale Klimaschutzinitiative im Jahr 2017 – durch konzertierte Aktionen, kleinere und größere Fachveranstaltungen, den gezielten Aufbau von Kooperationen und einen unabhängigen gemeinsamen Außenauftritt Das Webportal und die Social-Media-Kanäle des Netzwerks Grüne Arbeitswelt tragen hierzu besonders bei, indem sie Einblicke in grüne Berufsfelder und eine Übersicht konkreter Berufsorientierungsangebote sowie einschlägiger Akteur*innen bieten. Sie beinhalten außerdem eine Vielzahl von didaktischen Instrumenten und werden ständig aktualisiert. So können potenzielle Fachkräfte sie genauso gut nutzen wie Multiplikator*innen, die mit uns das Thema vorantreiben wollen.
FRAGEN UND HERAUSFORDERUNGEN DES STRUKTURWANDELS IM RHEINISCHEN REVIER?
Gerade in Transformationsregionen wie dem Rheinischen Revier oder der Lausitz spielen vernetzte Orientierungsangebote für junge und ältere Fachkräfte eine zentrale Rolle. Dabei spielt der Übergang von vormals in konventionellen Bereichen Beschäftigten in zukunftsfähige Arbeitsverhältnisse nur vordergründig die wichtigste Rolle. Studien gehen von einem mehrfach höheren zusätzlichen Beschäftigungsbedarf in einer künftigen nachhaltigen Wirtschaftsstruktur aus, welcher die Anzahl der aktuell knapp 9000 Beschäftigten in den kohlabhängigen Unternehmen des Rheinischen Reviers übersteigt. Somit zeigt sich der Orientierungsbedarf sehr deutlich. Denn man kann mitnichten davon ausgehen, dass sich die hier neu entstehenden Arbeitsplätze „automatisch“ besetzen, vielmehr müssen die zukunftsfähigen Beschäftigungsverhältnisse auch entsprechend kommuniziert werden. Und diese verstärkte Ansprache durch gut vernetzte Akteur*innen darf nicht in ein Green Branding abgleiten, sondern muss – wenn sie denn mehr sein will als „Berufslenkung“ – auch kritisch die Frage nach guten Beschäftigungsverhältnissen stellen.
WELCHE CHANCEN STECKEN IM STRUKTURWANDEL?
Der Strukturwandel im Rheinischen Revier ist zunächst ein klimapolitischer Imperativ, aus dem heraus sich arbeitsmarktbezogene Forderungen ableiten. Historische Beispiele zeigen, dass hier nicht dauerhaft subventionierte Arbeitsplätze entstehen dürfen, sondern eine nachhaltige und selbsttragende Wirtschaftsstruktur. Das ändert nichts daran, dass sich diese Perspektive nur ergibt, wenn alle Möglichkeiten eines konzertierten Orientierungsangebots genutzt werden. Gerade angesichts der Erkenntnis, dass man sich auch im Rheinischen Revier nicht auf eine bundesweite oder gar internationale Sogwirkung auf potenzielle Fachkräfte verlassen kann, führt zur Möglichkeit, die Fachkräftefrage vor allem lokal und regional anzugehen. Dies kann gelingen, wenn möglichst umfänglich das Aus- und Weiterbildungssystem auf die neuen Herausforderungen abstellt, auskunftsfähige Orientierungseinheiten flächendeckend zur Verfügung stehen, die Unternehmen selbst ihre Bemühungen um Auszubildende und Beschäftigte verstärken und der Prozess dauerhaft von unabhängigen „Makler*innen“ begleitet wird. Letzteres ist – das zeigt der Blick auf die jahrzehntelangen Ansätze der MINT-Förderung – eine entscheidende Bedingung, die Chance auf eine sozial, wirtschaftlich und ökologisch ausgewogene Wirtschaftsstruktur im Rheinischen Revier wirklich zu heben.
Krischan Ostenrath (geb. 1972), M.A., ist Chefredakteur des WILA Arbeitsmarkt (www.wila-arbeitsmarkt.de)
und Leiter des Fachbereichs Arbeitsmarkt im Wissenschaftsladen Bonn e.V.
Krischan Ostenrath ist seit mehr als zwanzig Jahren mit arbeitsmarktlichen und qualifizierungsbezogenen Fragen beschäftigt und Autor zahlreicher Artikel und einschlägiger Publikationen.
Darüber hinaus ist er verantwortlich für wissenschaftliche Transferprojekte im Bereich „grüner“ Beschäftigung. Aktuell koordiniert er das Netzwerk Grüne Arbeitswelt (www.gruene-arbeitswelt.de).