HomeRheinisches RevierStimmen zur Region“Die Veränderung ist der Regelfall”

“Die Veränderung ist der Regelfall”

Über berufliche Aus- und Weiterbildung als zentrales Handlungsfeld im Strukturwandel

Ein Interview mit Prof. Dr. Peter F. E. Sloane

Herr Prof. Sloane, Sie beschäftigen sich seit vielen Jahren als Wissenschaftler und als Praktiker mit der beruflichen Bildung und waren in der vergangenen Legislaturperiode Mitglied der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages zur beruflichen Bildung in der digitalen Arbeitswelt. Welche Bedeutung schreiben Sie der beruflichen Bildung im Strukturwandel im Rheinischen Revier zu?
Berufliche Bildung ist eine wichtige Gelingensbedingung für den Strukturwandel, da sie Menschen befähigt, die Auswirkungen der Veränderungsprozesse zu bewältigen. Um dieses Ziel zu erreichen, ist es erforderlich, dass die an der beruflichen Bildung beteiligten Akteure miteinander kooperieren. Dies gilt für die Aus- und Weiterbildung.

Wie muss sich in dieser Region die berufliche Bildung an die Veränderungen durch das Ende der Braunkohleverstromung anpassen?
Auf der Ebene der dualen Berufsausbildung müssen die Sozialpartner und die beruflichen Schulen aktiv eingebunden werden. Eine wichtige mediative Funktion haben hier die Kammern und die dort vorhandenen Arbeitskreise und Ausschüsse. Da die Ordnungsmittel für die berufliche Ausbildung sehr offen und kompetenzbasiert angelegt sind, können diese entsprechend den konkreten Erfordernissen des Strukturwandels umgesetzt werden. Die berufliche Ausbildung bietet daher viel Gestaltungsspielraum, um auf die Erfordernisse vor Ort einzugehen. Im Rahmen der beruflichen Weiterbildung sind in der Region über die Berufsverbände und die Gewerbeförderungsanstalten der Handwerkskammern und vergleichbarer Einrichtungen der Industrie- und Handelskammern eine Vielzahl von Organisationen vorhanden, die Weiterbildungsangebote für den Strukturwandel bereits aktiv anbieten und in Zukunft anbieten können. Hier kann auf entsprechende Netzwerke zurückgegriffen werden; ggf. sind solche Netzwerke von Seiten des kommunalen Bildungsmanagements anzusprechen oder zu initiieren. Ein kurzfristig wirkendes Reformkonzept in der beruflichen Ausbildung ist schließlich das Modell der Zusatzqualifikationen. Hierbei handelt es sich um vorgezogene Weiterbildungseinheiten, die schon während der Erstausbildung von Berufskollegs und Kammern angeboten werden, um die Ausbildung zu individualisieren und zu flexibilisieren. Zudem ergeben sich durch wohnortnahe Möglichkeiten der Aus- und Weiterbildung ‚Klebeeffekte‘, die Menschen in Regionen halten können. Andersherum ist es auch das Fehlen solcher Möglichkeiten, das Menschen dazu bringt, Regionen zu verlassen. Daraus folgt, dass der Übergang in Ausbildung gestärkt und Möglichkeiten qualitativ-hochwertiger Weiterbildung transparenter dargestellt werden müssen – insbesondere in Bereichen, die als ‚zukunftsfähig‘ gelten. Gerade mit Blick auf den Übergang von Schule-Beruf ergeben sich möglicherweise Überschneidungen mit Maßnahmen, die vom kommunalen Bildungsmanagement initiiert oder koordiniert werden.

Welche Bildungsakteure sind dabei besonders gefragt und wie sollten sie eingebunden werden?
Wie bereits angedeutet sind Kammern und Berufsfachverbände, einschließlich Innungen und Kreishandwerkerschaften wichtige Ansprechpartner. Hier gibt es nach meiner Wahrnehmung auch im Rheinischen Revier gut aufgestellte Organisationen, die aktiv angesprochen werden sollten. Für die Strukturförderung bzw. für den sozial-ökonomischen Umbau des Rheinischen Reviers sind dies daher ganz zentrale Akteure, mit großem Gestaltungswissen und Gestaltungsmöglichkeiten. Es ist dringend erforderlich, diese Akteure in die Arbeit der Transferinitiative einzubinden. Hierfür müssen nicht zwingend neue Arbeitsebenen entwickelt werden. Vielmehr sollte auf die vorhandenen Arbeitsgruppen, Kommissionen und Ausschüsse zugegangen werden. Anzusprechen und zu informieren wären die Kammern Bzw. die Berufsbildungsexpert*innen der Kammern, aber vor allem die Berufsbildungsausschüsse. Diese sind nach dem Berufsbildungsgesetz zu allen Fragen der beruflichen Bildung in der jeweiligen Region anzuhören und einzubinden. Daneben könnte es sinnvoll sein, die Landeskammertage, beispielsweise den Westdeutschen Handwerkskammertag, anzusprechen. Notwendig ist immer eine Abstimmung zwischen der Gewerbeförderung und der Strukturpolitik der Kammern auf der einen und der Bildungsträger auf der anderen Seite, da berufliche Bildung letztlich immer an die technisch-ökonomische und soziale Entwicklung einer Region andocken muss, um über spezifische berufliche Bildungsmaßnahmen den Transformationsprozess zu unterstützen.

Wie sieht Ihre Vision für die berufliche Bildung im Rheinischen Revier im Jahr 2038 aus?
Ich tue mich schwer mit Visionen, denn alle Zukunft ist ungewiss. Ich habe hier eine eher pragmatische Sicht eines Pädagogen:
Wenn alle Zukunft ungewiss ist und wenn zudem unvorhergesehene Ereignisse alles sehr plötzlich in Frage stellen können, was bisher als sicher galt, zum Beispiel. durch eine Pandemie, eruptiv auftretende Umweltschäden, aber auch Währungskrisen etc., dann ist es meiner Einschätzung nach. umso wichtiger, das Subjekt, den einzelnen Menschen zu fördern. Eine entsprechende Forderung bereits für die heutige Bildungsarbeit ist, dass wir die individuellen Fähigkeiten fördern müssen, sich immer wieder neuen, unvorhergesehenen Herausforderungen zu stellen. Denn der notwendige Umbau des Rheinischen Reviers stellt jeden einzelnen Menschen in einen gesellschaftlichen Prozess, der schon seit Jahrzehnten anhält und sich beschleunigt. Die Veränderung ist der Regelfall. Das ist wohl zum Teil die grundlegende Erfahrung von Menschen im Revier, die erleben müssen, dass Dinge, die immer als stabil galten, etwa ‚Der Bagger kommt. Man baut ein neues Dorf in einer rekultivierten Umgebung, hat aber zum Ausgleich ein sicheres Einkommen usw.‘, plötzlich nicht mehr gelten. Eine historische Entwicklung, für viele Menschen in anderen Regionen der Bundesrepublik nicht neu ist, wohl aber für diejenigen, die im Rheinischen Revier älter geworden sind.


Kurzvita

Prof. Dr. Peter F. E. Sloane ist ein ausgewiesener Experte für Berufsbildung resp. Berufsbildungsforschung und seit 1992 Professor für Wirtschaftspädagogik. Er hat an den Hochschulen in Jena, München, Leeds geforscht und gelehrt und ist seit 2000 in Paderborn tätig. 2011 bis 2018 war er Research Fellow am Department for Education an der University of Oxford. Er war Mitglied der Enquetekommission des Deutschen Bundestages „Berufliche Bildung in der digitalen Arbeitswelt“ (2018-2021). Sloane ist Mitherausgeber der Zeitschrift für Berufs- und Wirtschaftspädagogik (ZBW) und des Journals Educational Design Research (EDeR). Außerdem begleitet er seit 2014 mit seinem Team und Prof. Dr. Dieter Euler, St. Gallen, wissenschaftlich das BMBF-Projekt der Transferagenturen, das zur Programmfamilie der Transferinitiative gehört.